Freitag, der 13.

Am Freitag, den 13. November war ich in der Eishalle in Bordeaux beim Paarlaufwettbewerb der Trophee Bompard, als in Paris eine Mörderbande das Feuer auf ahnungs- und wehrlose Menschen eröffnete und Bomben zündete. Erst als ich nach der Paarlauf-Pressekonferenz im Presseraum saß und an meinem Artikel arbeitete, hörte ich, wie jemand das Radio eingeschaltet hatte. Man hört da ja nicht immer hin, und ich konzentrierte mich auf meinen Artikel, doch dann drangen Wortfetzen von Attentaten, Schüssen, Explosionen in mein Bewusstsein. Statt weiterzuschreiben las ich dann erst einmal im Internet, was los war.

Wie jeder andere normale Mensch war ich natürlich entsetzt. Ich kenne Paris sehr gut, ich habe dort ein Jahr lang studiert. Das Stade de France, der Boulevard Voltaire, die Restaurants und Cafés, das sind alles vertraute Orte, unvorstellbar, was dort geschah. Unser Eiskunstlauf-Wettbewerb hatte viele Jahre lang in Paris-Bercy im Palais Omnisports stattgefunden, nur in diesem und im vergangenen Jahr war er nach Bordeaux ausgewichen, im nächsten Jahr soll er wieder in Paris stattfinden, wie mir der französische Verbandspräsident Didier Gailhaguet noch wenige Stunden vorher versichert hatte. Jetzt kann man nur sagen, dass wir zum Glück in diesem Jahr nicht in Paris waren. Unser Wettbewerb wurde wegen des Ausnahmezustands und der Staatstrauer in Frankreich abgesagt, aber in Bordeaux ging das Leben ansonsten am Samstag normal weiter, waren die Geschäfte und Restaurants geöffnet und gut besucht. Das war ein gutes Zeichen.

Freitag, der 13. war ein eher billiger US-amerikanischer Horrorfilm, in dem junge Leute in einem Feriencamp nach und nach grausam ermordet werden. Irgendwie war aus diesem Horrorfilm Realität geworden, nicht erst an diesem Tag, jetzt wird dieses Datum zur Chiffre eines weiteren Angriffs auf unsere Lebensart und Kultur. 102 friedliche Demonstranten starben bei einem Anschlag in Ankara, 224 Passagiere eines Flugzeugs, meist russische Urlauber, stürzten in den Tod, als eine Bombe ihre Maschine über dem Sinai zerriss, dazu immer wieder Anschläge von Boko Haram und anderen Terrorgruppen in Afrika, im Nahen Osten. Und nun Paris.

Ankara, der Sinai, Nigeria scheinen weit weg zu sein, aber der Terror rückt nicht nur näher, er ist schon da. Am 10. Dezember 2012 wartete ich am Gleis 3 am Bonner Hauptbahnhof, der gerade abgesperrt wurde, weil an Gleis 1 eine herrenlose, blaue Tasche stand. Ich sehe sie noch genau vor mir, sie stand an den Metallstühlen, einsam, Polizisten sicherten den Bahnsteig. Ich dachte noch, was für ein Aufwand, nur weil so ein Idiot eine Tasche hat stehen lassen. In der Tasche war eine scharfe Bombe, die nur wegen eines fehlerhaften Zündmechanismus nicht detonierte. Irgendwie ließ mich das seltsam unberührt, vielleicht weil ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass jemand ausgerechnet am provinziellen Bonner Hauptbahnhof eine Bombe abstellt, aber ich fragte mich natürlich, wann die Bombe hätte explodieren sollen – als ich auf dem Bahnsteig war oder vorher? Und hätte die Detonation bis auf Bahnsteig 2/3 gereicht? Der Terror rückt in den Alltag vor.

Die Zahl der Menschen, die durch Terrorismus zu Tode kommen, hat im Vorjahr einen neuen Höchststand erreicht. Heute las ich in der Süddeutschen Zeitung, dass sie im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 80 Prozent auf 32 658 gestiegen war. Die Bilanz für 2015 wird sicher nicht besser ausfallen. Die meisten Opfer gehen dem „Global Terrorism Index“ zufolge auf das Konto von Boko Haram und IS, vorwiegend in Afghanistan, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien.

Bernard Hykel, Professor für Nahoststudien an der Princeton Universität in den USA, stellte in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung die These auf, dass die zunehmenden Anschläge des IS im Westen letztendlich ein Zeichen der Schwäche dieser Terrormiliz seien. Der IS habe solche Aktionen im westlichen Ausland früher abgelehnt, dies sei eher Spezialität von Al Quaida gewesen. Der IS habe sich bisher auf die Schiiten und als „abtrünnig“ angesehene Regierungen wie im Irak oder Saudi-Arabien (also andere Muslime) konzentriert. Doch nach militärischen Niederlagen und Geländeverlusten wolle der IS mit spektakulären Attentaten Stärke demonstrieren und neue Anhänger anwerben.

Das ist natürlich keine so tolle Aussicht. Wahrscheinlich locken solche grausamen Attentate wie das in Paris tatsächlich wieder junge, orientierungslose Menschen in die Fänge der salafistischen Verführer. In den Medien werden die Bilder der jungen Männer veröffentlicht, die in Paris mordeten und sich dann z.T. selbst in ihr vermeintliches Paradies bombten – es sind immer dieselben Geschichten der Zukurzgekommenen, Gescheiterten, „nicht Angekommenen“ – wobei Ausnahmen die Regeln bestätigen, denn es sind durchaus auch immer wieder andere dabei, die scheinbar integriert waren, einen Beruf, eigentlich ein normales Leben hatten. Die Attentäter auf den Photos haben oft junge, unverbrauchte Gesichter, sehen harmlos, ja fast freundlich aus, und doch sind abgerutscht in einen tödlichen Wahn und Hass auf alle anderen, die nicht ihr krankes Weltbild teilen.

Wie geht es weiter? Wie gehabt. Es wird neue Anschläge geben und eine absolute Sicherheit ist nicht möglich, wenn wir nicht in einem selbst errichteten Gefängnis leben wollen. Im Internet und in den Medien kursiert der offene Brief des französischen Journalisten Antoine Leiris, dessen Frau bei dem Angriff auf den Konzertsaal ums Leben kam und die ihn und einen knapp 17 Monate alten Sohn hinterläßt. Dort schreibt er zum Beispiel: „Am Freitagabend habt Ihr mir das Leben eines außergewöhnlichen Menschen geraubt, die Liebe meines Lebens, die Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass, den bekommt Ihr nicht. Ich weiß nicht, wer Ihr seid, und ich will es auch gar nicht wissen, denn Ihr seid tote Seelen. Wenn dieser Gott, für den Ihr so blind mordet, Euch nach seinem Ebenbild erschaffen hat, dann hat jede Kugel im Leib meiner Frau auch sein Herz verletzt.

Deshalb nein, ich werde Euch jetzt nicht das Geschenk machen, Euch zu hassen. Sicher, Ihr habt es genau darauf angelegt – doch auf diesen Hass mit Wut zu antworten, das hieße, sich derselben Ignoranz zu ergeben, die aus Euch das gemacht hat, was Ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit Argwohn betrachte und meine Freiheit für meine Sicherheit opfere. Vergesst es. Ich bin und bleibe der, der ich war.“

Das ist eine gute Antwort.

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