Frühling in Japan

Die World Team Trophy im Eiskunstlauf findet alle zwei Jahre Mitte oder Ende April statt und ist für mich der letzte Wettbewerb der Saison und deshalb eine gute Gelegenheit, ihn mit einem kleinen Urlaub zu verbinden. Ich komme immer sehr gerne nach Japan, ich mag diese exotische Kultur, die Landschaft und natürlich auch das Essen sehr.

Der Frühling ist in Japan die Zeit der Kirschblüte, „Sakura“, und wenn es um die Kirschblüte geht, sind die Japaner nicht zu halten. In Massen strömen sie in die Parks, um die schönsten blühenden Bäume zu bewundern und abzulichten. Aber das ist längst nicht alles, man kann Reisen zu den besten Orten buchen, genaue Berichte über den aktuellen Stand der Blüte verfolgen, Kirschblüten-Tee, -Eis und wer weiß was sonst noch genießen. In Tokio war die Hochzeit der Kirschblüte allerdings bei meiner Ankunft schon vorbei. Ich hatte sie aber schon früher erlebt.

Sakura
Kirschblüte auf dem Takao

Für meinen Kurzurlaub habe ich mir einen Ort gesucht, an dem ich noch nicht war, er sollte nicht zu weit weg von Tokio sein und gut erreichbar. Nachdem ich vor zwei Jahren in Shimoda an der Küste war und früher in der alten Tempelstadt Nikko sowie in Hakone und Kamakura, bin ich diesmal in die Berge gefahren, in den Ort Karuizawa, gut eine Stunde mit dem Shinkansen (Hochgeschwindigkeitszug) von Tokio entfernt. Karuizawa ist eine beliebte Sommerfrische der Hauptstädter, auch der Kaiser soll hier die Kühle genießen, wenn es in Tokio mal wieder unerträglich heiß ist. Karuizawa liegt etwa 1000 Meter hoch, von daher war der Frühling hier noch nicht angekommen und von der Kirschblüte war nichts zu sehen. In Karuizawa und Umgebung kann man in den Bergen wandern und durch Wälder streifen, aber es war noch alles braun und in einigen Ecken lagen noch Schneereste. Deswegen waren die Wälder nicht so attraktiv.

Ryokan
Der Ryokan lag mitten im Wald

Ich wollte auch mal wieder das klassische Japan erleben und habe ein Zimmer in einem Ryokan mit Onsen gebucht. Ein Ryokan ist ein traditionelles japanisches Gasthaus. Das Zimmer ist mit Tatami-Matten ausgelegt und das Bett ist eine Futonmatratze auf dem Boden. Ich fand es bequem und überhaupt nicht zu hart. Auch sitzt man auf dem Boden. Es gab aber eine zusätzliche Sitzecke mit Stühlen, was dann für Europäer auf längere Sicht doch bequemer ist. Beim Betreten des Gasthauses zieht man die Schuhe aus und schlüpft in die bereitgestellten Hausschuhe. Das Zimmer wiederum betritt man auf Strümpfen, nur im Bad gibt es extra Slipper (die auf jeden Fall auch im Bad bleiben). Einen Schrank für meine Sachen hatte ich im Zimmer nicht, also habe ich alles im Koffer gelassen. Der Ryokan verfügte über einen gewissen Retro-Charme, insbesondere das klobige, alte Telephon war wie aus der Zeit gefallen.

Futonbett
Mein Zimmer im Ryokan

Der Onsen, das heiße Quellbad, war für mich ein weiterer wichtiger Grund, den etwas abgelegenen Ryokan zu buchen. Sie hatten sogar einen privaten Onsen auf einem Balkon, so dass ich an der frischen Luft im heißen Wasser entspannen konnte. Das Gemeinschaftsbad hatte ich aber auch für mich alleine, weil nicht viel los war im Gasthaus. Japanisches Essen gehört selbstverständlich zu einem Aufenthalt im Ryokan dazu. Das Gasthaus bietet feste Essenszeiten an, man muss sich für eine entscheiden. Als ich nicht pünktlich beim Frühstück erschien, klingelte das altmodische Telephon, es war also nicht nur Deko!

Onsen
Der Freiluft-Onsen im Ryokan

Ich kam am Nachmittag an, direkt vom Flughafen und bin nur ein wenig in der Umgebung des Hotels bis zu einem Wasserfall spaziert. Am zweiten Tag habe ich den selten verkehrenden Bus in den Ort genommen, mir dort ein E-Bike geliehen und die Umgebung erkundet. Das Highlight war auf jeden Fall der Usui-Paß, mit toller Aussicht auf die umliegenden Berge und insbesondere den schneebedeckten, noch aktiven Vulkan Asama. Dank des E-Bikes konnte ich sogar den Paß hochradeln (im Fahrradverleih meinten sie, das ginge nicht, aber es war zwar anstrengend, aber kein größeres Problem). Auf dem Paß habe ich noch einen Tempel mit einem 800 Jahre alten Baum besucht. Die Abfahrt runter in den Ort war natürlich die beste Belohnung!

Asama 3
Blick auf den Asama vom Usui-Paß aus

In Kuraizawa stehen viele europäisch anmutende Häuser. Das war früher etwas Besonderes in Japan, und anscheinend ist deutsches Essen hier beliebt. Ich sah Geschäfte, die – auf Deutsch! – „Wurst und Schinken“ anpriesen, komplett mit schwarz-rot-goldener Fahne am Laden, sowie ein deutsches Restaurant, das „Gulasch“ zum Mittagstisch anbot und eine deutsche Speisekarte hatte. Aber ich bin nicht nach Japan gekommen, um deutsche Hausmannskost zu essen, daher machte ich nur ein Photo, wie auch von einer Pralinenmanufaktur mit dem schönen Namen „Schokoladenburg“.  Ich radelte noch bis in den Nachbarstadtteil und zu einem romantischen See, der aber wegen der winterlichen Vegetation ein wenig öde wirkte. Wenn hier alles blüht und grün ist, ist es sicher schöner.
Direkt am Bahnhof hat sich eine riesige Shopping-Mall mit Designer-Outlets ausgebreitet. Hier traf ich vor allem chinesische Touristen an.

Kitzbühl Speisekarte
Die Speisekarte des Restaurants Kitzbühl ist deutsch und japanisch

Am Samstag fuhr ich nach Tokio und am Sonntagmorgen von dort aus zum Berg Takao. Der stand schon lange auf meiner Liste. Es war gut, dass ich wie ein Freund geraten hatte, früh losfuhr, denn an einem Sonntag bei schönem Wetter strömen die Massen dorthin. Ich wäre lieber am Montag gefahren, aber es war Regen angekündigt. Auf dem Takao gibt es viele Tempel und Wanderwege, ich bin mit dem Sessellift hochgefahren und dann zum Gipfel gewandert. Von dort aus hatte ich einen schönen Blick auf den majestätischen Fuji, den berühmtesten Berg und ein Wahrzeichen Japans. Als ich zur Station zurücklief, war auf dem Berg die Hölle los. Ich sah Prozessionen, eine Musikkappelle zog spielend vorbei, eine andere Gruppe veranstaltete ein Trommelkonzert und im Tempel herrschte Gedränge.

Fuji
Vom Gipfel des Takao bietet sich ein toller Blick auf den Fuji

Am Montag war das Wetter tatsächlich nicht so gut, so dass ich nur in Shinjuku, einem geschäftigen Viertel im Westen von Tokio mit einem riesigen Bahnhof, geblieben bin und mich mit Leckereien wie Matcha-Schokolade eingedeckt habe. Und dann war der Kurzurlaub vorbei, am Dienstag fing ich im offiziellen Hotel damit an, den Wettbewerb vorzubereiten.

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Panorama vom Usui-Paß aus gesehen

Mehr Photos findet ihr hier.

St. Petersburg, ein Wintermärchen

Ich muss zugeben, ich habe den Blog länger vernachlässigt. Der Grund ist der übliche: Zeitmangel. Von Oktober bis Ende Dezember war ich bei neun Eiskunstlauf-Wettbewerben von Finnland über die USA, Kanada, Russland, Frankreich, China, Japan, nochmal Frankreich und nochmal Russland. Es macht mir nach wie vor Spaß, kreuz und quer durch die Welt zu reisen und über diese Wettbewerbe zu berichten, Interviews zu führen etc, aber viel Zeit für anderes bleibt nicht.

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Der eherne Reiter: Ein Denkmal für den Stadtgründer Peter den Großen und ein Wahrzeichen der Stadt.

2017 ging es Ende Januar mit der Europameisterschaft weiter und kurz danach bin ich noch zur Russischen Juniorenmeisterschaft gefahren. Ich wollte dort schon immer mal hin und die nächste Generation russischer Läufer erleben, aber entweder passte es zeitlich nicht oder aber die Meisterschaft fand in einer entlegenen Ecke des Riesenlandes statt. Diesmal aber gab es keine Ausrede: Erstens lag die Meisterschaft zeitlich günstig und zweitens war sie in St. Petersburg.

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Löwenfigur am Neva-Ufer, auf der anderen Seite des Flusses steht rechts das älteste Museum der Stadt, die „Kunstkammer“.

St. Petersburg ist  meine absolute Lieblingsstadt, seit ich sie 1993 das erste Mal besucht habe. Ich war schon so oft dort, dass ich es gar nicht mehr zählen kann, ich habe sogar in den Jahren 2000 und 2001 jeweils mehrere Monate dort gewohnt. Ich habe viele Freunde dort und die Stadt selbst ist wie eine Freundin, so vertraut und lieb ist sie mir geworden. Ich glaube, ich könnte problemlos Fremdenführerin hier spielen. Für einige Freunde und Verwandte aus Deutschland habe ich das auch schon getan.

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Die Peter-und-Pauls-Festung, Keimzelle der Stadt. In der Kathedrale sind die Gebeine der russischen Zaren bestattet.

Während der Russischen Juniorenmeisterschaft war nicht viel Zeit für anderes, und das Wetter war ohnehin grau, aber am letzten Tag verwandelten Sonne und blauer Himmel St. Petersburg in eine Winterwunderland. Bei etwa minus 16 Grad machte ich einen kleinen Spaziergang durch das Zentrum der Stadt und konnte ein paar Winterphotos schießen. Der Abschied fiel wie immer schwer! Aber ich komme bald wieder. Im Mai steht der nächste Besuch an, wenn schon die Weißen Nächte begonnen haben. Aber damit ist kein Schnee gemeint.

Die restlichen Bilder sind hier.

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Petersburger Panorama

 

Aller guten Dinge sind manchmal vier: Meine Erfahrung mit Literaturagenturen

Gerade ist die Frankfurter Buchmesse zuende gegangen und Autoren diskutieren wieder über das Thema Literaturagentur. Ja, nein, vielleicht? Hat man überhaupt noch eine Chance, ohne Agentur bei einem Verlag unterzukommen?

Ich habe ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Literaturagenturen gemacht und darauf einige Schlüsse gezogen. Ich nenne diese Agenturen bzw. Agenten hier nicht namentlich, um eventuellen Ärger zu vermeiden.

Mein allererster Kontakt kam über den BVjA zu Stande, als ich ein Interview mit einem Literaturagenten für unser Mitgliedermagazin gemacht habe. Leider stellte sich dieser Agent später als Abzocker heraus (im Interview gab er sich noch ganz seriös). Er schrieb einen „Manuskripte-Wettbewerb“ aus, der aber nur dazu diente, potenzielle „Kunden“ anzulocken. Denn er teilte den Autoren später mit, dass sie leider keinen Preis gewonnen hätten, er aber ihre Manuskripte  gegen eine Gebühr von 300 D-Mark gern in seine Kartei aufnehmen und vermitteln werde. Natürlich wurde nichts vermittelt, bzw. der Gipfel war, dass er einige Autoren später noch in einen Pseudo-Verlag „vermitteln“ wollte, wo sie für die Veröffentlichung hätten zahlen sollen. Mit dieser Masche ist der Mann auch noch heute unterwegs, wie eine schnelle Recherche ergab. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass jede „Agentur“, die von Autoren vor einer erfolgreichen Vermittlung Gebühren für was auch immer abkassieren will, nicht seriös arbeitet.

Bei Agentur Nummer zwei merkte ich, dass für eine gute Zusammenarbeit auch die Wellenlänge eine wichtige Rolle spielt. Ich kam mit diesem Agenten persönlich nicht klar. Abgesehen davon schien ihm mein Manuskript nicht zu gefallen, weshalb ich mich frage, warum er mich überhaupt unter Vertrag genommen hat. Immerhin habe ich aus dieser Erfahrung auch etwas gelernt, und der Agent war seriös.

Aller guten Dinge sind drei, nicht wahr, also wagte ich nach einiger Zeit noch einen Versuch. Hier hatte sich eine neu gegründete Agentur auf der Suche nach Autoren an den BVjA gewandt. Zunächst schien es ein Volltreffer zu sein. Die Agentur nahm mich unter Vertrag, mit der für mich zuständigen Agentin hatte ich einen sehr guten Kontakt auf Augenhöhe, und wir begannen gleich, an einem (damals noch nicht fertigstellten) Romanmanuskript zu arbeiten. Diese Agentin war auch ausgebildete Lektorin. Ich flog sogar nach Berlin, um sie persönlich zu treffen. Es lief gut, die Zusammenarbeit machte Spaß, sie hielt mich immer auf dem Laufenden, was Verlagskontakte anging. Doch noch bevor der Roman fertig war, kündigte die Agentin, weil sie sich beruflich umorientieren wollte. Fairerweise informierte sie mich sofort und persönlich darüber. Leider aber hatten die anderen Agenten ihre eigenen Projekte und waren an meinem nicht so interessiert oder vielleicht waren sie auch nicht davon überzeugt. Jedenfalls kümmerte sich niemand mehr um mich und meinen Roman, so dass wir nach einiger Zeit den Vertrag einvernehmlich auflösten. Ich fand dann selbst einen Verlag für diesen Roman, inzwischen ist er erschienen.

Eigentlich hatte ich danach kein großes Interesse mehr an Agenturen. Auf dem Speed-Dating bei der Leipziger Buchmesse 2015 erhielt ich einen Termin bei einer Agentur und nahm ihn eigentlich nur deshalb wahr, weil ich die Ideen für drei Projekte „testen“ wollte – also in dem Sinne, würde sich die Agentur dafür interessieren? Die Agentin hatte an allen drei Interesse, aber ich lehnte zunächst ab. Das eine Projekt war ein Roman, den ich im Selfpublishing herausbringen wollte und in den ich bereits entsprechend viel investiert hatte, das zweite existierte nur als Exposé und für das dritte glaubte ich, dass ich selbst gut einen Verlag finden könnte. Doch die Agentin ließ nicht locker, kontaktierte mich später wieder und lockte mich mit der Aussicht darauf, in einem großen Verlag zu veröffentlichen (der Interesse an Projekt drei habe). Ich hatte inzwischen zwar schon selbst einen Verlag „an der Angel“, aber bei dem dauerte es noch mit der Entscheidungsfindung. Daher schloss ich einen Vertrag mit der Agentur und handelte Sonderkonditionen aus, falls am Ende der von mir kontaktierte Verlag den Zuschlag bekäme. So kam es dann auch, denn die anderen Interessenten sprangen entweder ab oder waren zu vage. Aber in den Vertragsverhandlungen mit dem Verlag leistete die Agentur gute Arbeit, so dass ich mit ihr zufrieden war und mir auch künftig eine Zusammenarbeit vorstellen könnte.

Mein Fazit: Die Zusammenarbeit mit einer Literaturagentur kann durchaus hilfreich sein, aber es müssen einige Bedingungen wie vor allem Seriosität und ein guter persönlicher Kontakt erfüllt sein. Außerdem ist ein Literaturagent nicht automatisch das Ticket für die Veröffentlichung in einem (großen) Verlag, man sollte also seine Hoffnungen nicht zu hochschrauben, selbst wenn man bei einer Agentur unterkommt. Immerhin bedeutet es aber, dass zumindest der Literaturagent vom Potenzial des Manuskripts überzeugt ist, sonst würde er es nicht unter Vertrag nehmen.

 

Schlusspfiff – die letzten Wettkampftage in Rio

Die Spiele sind zwar vorbei, die Paralympics beginnen diese Woche (leider ohne mich), aber ich wollte doch noch meine Erlebnisse der letzten Tage von Rio 2016 nachtragen.

Am 17. August startete endlich (aus meiner Sicht) der Taekwondo-Wettkampf. Taekwondo trainiere ich seit mehr als 20 Jahren selbst, natürlich „nur“ auf breitensportlichem Niveau, aber unser langjähriger Trainer Claus Karg beim 1. Godesberger Judoclub hat immerhin einen Sportler zum WM-Titel geführt und einen anderen zur Silbermedaille bei den Olympischen Jugendspielen. Bei ihm habe ich lange auch Wettkampftraining mitgemacht, und auch heute noch gehe ich gerne zu diesen Trainingseinheiten. Taekwondo also liegt mir besonders am Herzen, einige Sportler kenne ich auch von anderen Wettbewerben, bei denen ich sie schon interviewt oder wenigstens gesehen habe.

 

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Auf der Pressetribüne beim Ringen mit Giacomo

Aus deutscher Sicht gab es gleich zum Auftakt die erste Enttäuschung, als Levent Tuncat in der Klasse bis 58kg wegen einer noch nicht komplett verheilten Verletzung am Auge nicht antreten konnte. Merkwürdig war, dass die Wettkampfleitung keine offizielle Mitteilung über seine Absage veröffentlichte, die Information war sehr versteckt und musste erst gefunden werden. Die Deutsche Taekwondo-Union hatte es aber auf ihrer Webseite gemeldet. Dennoch kamen einige deutsche Journalisten, die vergeblich auf Levent warteten. Beim Eiskunstlauf käme das nicht vor, bei jeder Absage geben wir eine offizielle Mitteilung heraus. Die Kämpfe insbesondere der Männer in dieser Gewichtsklasse gefielen mir nicht besonders, sie waren eher statisch, wirkten jedenfalls so, weil fast nur noch mit dem vorderen Bein getreten wird, am besten zum Kopf. Das ist einseitig. Leider gewann ein so langweilig kämpfender Chinese. Bei den Frauen wollte die zweifache Olympiasiegerin Jingyi Wu, ebenfalls eine Chinesin, eine dritte Goldmedaille holen, aber sie verlor überraschend gegen eine junge Serbin und flog auch in der Repechage raus.

 

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Rabia Gülec (rechts) in ihrem Kampf gegen Nur Tatar (TUR), den sie leider knapp verlor.

Das führte indirekt auch zu Mehrarbeit für mich! Eine der undankbarsten und lästigsten Aufgaben war es nämlich, die „medal presenters“ zu veröffentlichen. Dafür bekommen wir von der Protokollabteilung eine Info, wer die Medaillen und wer die Geschenke überreicht, also immer zwei Personen. Der „medal presenter“ ist eigentlich immer ein Mitglied des IOC, der „gift presenter“ meist ein Vertreter des jeweiligen Weltverbandes. Eigentlich sind das nur ein paar Zeilen, und die kurzen Biotexte für die IOC-Mitglieder hatten wir im Vorfeld vorbereitet. Doch es gibt zwei Probleme: 1. oft kommt die E-Mail mit der Info über die „presenters“ spät, wenn wir eigentlich keine Zeit mehr dafür haben und 2. manchmal ändert sich etwas in letzter Minute. Für die Siegerehrung der Frauen bis 49kg war IOC-Präsident Thomas Bach vorgesehen, mit dem dezenten Hinweis „to be confirmed“. Da wusste ich schon, wo der Hase langläuft. Ich war mir sicher, dass Bach nur die Medaillen vergibt, wenn Wu ihre dritte Goldmedaille gewinnt. Beim Judo war es ähnlich, da sagte man mir sogar direkt, er nimmt die Siegerehrung bei den Frauen bis 52kg nur vor, wenn Majlinda Kelmendi aus dem Kosovo gewinnt. Die gewann ja auch, Wu aber eben nicht. Daher hielt ich die Meldung über die medal presenters beim Taekwondo wohlweislich noch zurück. Und das war auch gut so, denn irgendwann kam dann das erwartete update, Bach ist raus, jemand anderes drin. Das ging ja noch. Aber am letzten Tag schossen die Protokoll-Leute den Vogel ab. Sie tauschten die „gift presenter“ aus und ich gab eine aktualisierte Meldung raus. Noch während des Finales (!!!) hieß es dann plötzlich Kommando zurück, die gift presenter sind wieder die wie ursprünglich vorgesehen. Mit diesem „Mist“ muss ich mich befassen, während auf der Matte um Gold gekämpft wird und die Medaillengewinner interviewt werden wollen. Ich war nah dran, diese Info zu ignorieren. Ich hätte die mail leicht übersehen können, wenn ich in der mixed zone beim Interview war. Doch dann wollte ich mich drum kümmern – und sah, dass zum Glück jemand beim CET (Central Editorial Team, also unsere Redakteure) schon dabei war.

 

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Servet Tazegül (TUR) im Gespräch mit seinem Trainer vor dem Kampf.

Am zweiten Tag war Servet Tazegül in Aktion, ein Deutsch-Türke aus Nürnberg, der für die Türkei kämpft und 2012 Olympiasieger wurde. Ihn habe ich schon ein paarmal interviewt, und er ist ein ganz Netter, dem ich die Daumen für eine dritte olympische Medaille (in Peking gewann er schon mal Bronze) drückte. Leider wurde nichts daraus, er verlor im Viertelfinale und in der Repechage. Den Sieg schnappte sich am Ende völlig überraschend der unbekannte Jordanier Ahmad Abughaush – gleichzeitig war es die allererste Olympiamedaille für sein Land. Die königliche Familie von Jordanien rief ihn an, um ihn zu gratulieren und ich weiß gar nicht, von was der Sportler mehr überwältigt war – vom Anruf des Königs oder von seiner Goldmedaille.

Am dritten Tag beobachtete ich besonders aufmerksam Steven Lopez, den zweifachen Olympiasieger, der mit 37 Jahren nochmal in den Ring stieg. Leider scheiterte er am Ende im Bronzemedaillen-Kampf. Die Story des Tages war der Sieg von Cheikh Sallah Cisse von der Elfenbeinküste, der den Favoriten Lutalo Muhammad (Großbritannien) in der wirklich allerletzten Sekunde des Matchs per Kopftreffer besiegte. It is not over until it is over, das musste der Brite bitter erfahren, dessen Aufmerksamkeit mit zwei Punkten Vorsprung in der letzten Sekunde des Finales wohl etwas nachließ. An Tag drei waren auch die Geschwister Rabia und Tahir Gülec aus Nürnberg im Einsatz. Rabia überzeugte, gewann ihren ersten Kampf gegen eine starke Russin, verlor dann leider knapp im zweiten und bekam nicht die Chance auf die Repechage. Ihr Bruder war wegen einer Fußverletzung gehandicappt, gewann zwar seinen ersten Kampf, verlor dann aber gegen Cisse und später in der Repechage. Der Afrikaner war übrigens der Publikumsliebling, die Brasilianer feuerten ihn heftig an und – was ich unfair fand – buhten seinen Gegner aus, insbesondere Tahir (der das darauf zurückführte, dass er Deutscher ist, denn die Zuschauer hätten ihm 7-1 mit den Fingern gezeigt, um an das legendäre WM-Halbfinale von 2014 zu erinnern).

Das Publikum hatte ohnehin wenig Ahnung vom Taekwondo, denn das ist kein großer Sport in Brasilien. Auch wenn berechtigt Treffer nicht anerkannt wurden, buhten sie immer wieder munter drauflos. Irgendwann war das nervig.

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Tahir Gülec (links) landet einen Treffer gegen seinen Gegner aus der Dominikanischen Republik.

 

Zum Schluss waren die Kämpfe im Schwergewicht auch etwas lahm, insbesondere die beiden Finales waren langweilig im Vergleich zu den anderen. Die beste Story brachte Pita Nikolas Taufatofua aus Tonga. Er war berühmt (und in Brasilien gleich zum Sexsymbol geworden), weil er bei der Eröffnungsfeier mit nacktem, von Kokosöl glänzendem Oberkörper als Fahnenträger von Tonga einmarschiert war. Er verlor seinen ersten Kampf, war chancenlos gegen einen Iraner, aber er bekam mehr Medienaufmerksamkeit als die meisten Medaillengewinner. Ich ging runter in die mixed zone und dachte, den interviewe ich jetzt mal und bin sicher die einzige, aber nein, mehrere Kollegen hatten den gleichen Gedanken. Der Mann aus Tonga entpuppte sich als witziger, charmanter und intelligenter Mensch, der neben dem Sport als Betreuer für obdachlose und selbstmordgefährdete Jugendliche arbeitet. „Ich bin kein Erfolg über Nacht, sondern ich habe 20 Jahre dafür gearbeitet, um hierher zu kommen und um Fahnenträger zu werden“, erklärte er.

 

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Flash Quote Reporterin Kylie und ich probierten unsere Techniken auch mal auf der Matte aus

Die vier Tage Taekwondo waren anstrengend, weil die Wettkämpfe um 9 Uhr morgens anfingen und das Finale erst um 22.30 Uhr vorbei war. Auch für die Sportler war dieser Zeitplan mit zwei Stunden Pause (nach dem Achtelfinale und dann wieder nach dem Halbfinale) ermüdend. Man wollte wohl Karten für drei Sessions verkaufen. In Tokio soll der Zeitplan besser sein, sagte mir der Sportmanager. Taekwondo könnte wie Ringen oder Judo mit einer Pause auskommen, finde ich auch.

A propos Ringen. Am letzten Tag, den 21. August, kehrte ich nochmal zum Ringen zurück und half Giacomo. Hier kam es noch zu einer unglaublichen Szene: In einem Bronzemedaillenmatch verlor ein Mongole gegen einen Usbeken, weil er in den letzten Sekunden des Kampfes vor seinem Gegner davonlief und, die Medaille vor Augen, auf der Matte herumtanzte. Dafür bekam er  – völlig zu Recht – einen Strafpunkt, weshalb der Usbeke gewann. Die Trainer des Mongolen drehten daraufhin völlig durch, rannten auf die Matte und zogen sich im Protest sogar bis auf die Unterhose aus (der eine jedenfalls) und warfen den Kampfrichtern ihre Klamotten vor die Füße. Es dauerte zehn Minuten, bis die aufgebrachten Trainer von der Matte eskortiert wurden und der Wettkampf mit dem nächsten Match weitergehen konnte. In der mixed zone lamentierten die Mongolen, dass ihnen die Medaille zu Unrecht weggenommen worden sei. Aber wer sich so verhält …

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Giacomo und ich als „Ringer“.

Giacomo und ich hatten übrigens auch noch unseren Spaß und sind mit unseren Flash Quote Reportern Kylie, Cory und Cody auch  mal auf die Ringer- bzw. Taewondo-Matte gegangen.

Die Schlussfeier habe ich verpasst. Bis Giacomo und ich nach dem Wettkampf zurück im Mediendorf waren und dann mit anderen in die Stadt fuhren, wo wir uns mit den Kollegen verabredet hatten, war schon fast alles vorbei. Der Sonntag war auch noch mein Geburtstag, aber so konnte ich ein bisschen mit den anderen feiern.

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Unser Team auf der Ringermatte

Weiter geht’s

Das Ende der Olympischen Spiele ist bereits absehbar, viele Sportarten sind schon fertig. Gestern, am Mittwoch, hat Taekwondo allerdings erst angefangen. Davor aber war ich bei der Leichtathletik und beim Ringen im Einsatz.

Der eigentlich einzige wettkampffreie Tag wäre der 13. August für mich gewesen, doch wie gesagt, wurde ich den ganzen Tag ins Olympische Stadion zur Leichtathletik geschickt. Einerseits ist das auch interessant, andererseits hätte ich lieber noch ein paar Taekwondo-Stories gemacht und einen ruhigen Tag genossen. Aber egal. Ich fuhr also ins Stadion. Am Vormittag standen Vorläufe und auch die Entscheidung im Diskuswurf an, abends dann Halbfinals, Vorläufe, Entscheidungen im Siebenkampf, Männer 1500m, Frauen 100m, Weitsprung.

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Das Olympiastadion – die Ruhe vor dem Sturm

Die Mixed Zone in der Leichtathletik ist riesig und es dauert lange, bis die Sportler von draußen die ganzen TV-Stationen durchgelaufen haben, bis sie in den Bereich für die schreibende Presse kommen. Das gilt natürlich vor allem für Stars wie Usain Bolt, den nun wirklich jeder interviewen will. Der Mann könnte eigentlich sein erstes Interview auf ein Diktiergerät aufnehmen und dann immer wieder abspielen. J

Wir vom Olympic News Service haben zwei Leute beim OBS (Olympic Broadcast) stehen, die dort die ersten Zitate sammeln. Ich wurde in der zweiten Mixed Zone eingesetzt, was eigentlich besser ist, denn da kann man auch mal selbst Fragen stellen und steht nicht nur dabei und hört zu. Da ich mich nicht so gut in der Leichtathletik auskenne und von den Wettbewerben selbst gar nicht viel mitbekomme, ist es aber nicht so einfach, schlaue Fragen zu stellen. J Denn es laufen zwar Fernseher in der mixed zone, aber wir sind ja damit beschäftigt, aus dem ständigen Strom der Sportler unsere „Opfer“ herauszufischen und deren Zitate dann zu verarbeiten. Unser Mann auf der Tribüne schickt uns Nachrichten, wer gewonnen hat, Name, Bib Nummer, ob was Besonderes passiert ist etc.

Am Vormittag war es nicht so hektisch, da hatte ich sogar Zeit für ein kleines Interview und einen kleinen Artikel über eine 16 Jahre alte Läuferin aus Qatar, deren Mutter und Großmutter schon im 400m Lauf gestartet sind, allerdings für Marokko. Das junge Mädchen war selbstbewußt und trug kein Kopftuch, rannte in Leggings und erzählte, daß in Qatar auch Leistungssport für Frauen gefördert wird. Es sind eben nur dumme Fanatiker, die muslimische Frauen und Mädchen vom Sport ausschließen wollen.

 

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Carioca 2 ist nun die Ringerhalle

Dann war plötzlich das Ergebnis im Diskus da, Christoph Harting hatte überraschend gewonnen (sein berühmter Bruder Robert, der Olympiasieger von 2012, war verletzungsbedingt schon in der Qualifikation ausgeschieden), Dritter wurde ein anderer junger Deutscher, Daniel Jasinski. Harting benahm sich merkwürdig, wollte keine Interviews geben und hampelte bei der Siegerehrung auf dem Podium herum. In der Pressekonferenz sagte er schnippisch, er sei eben keine PR-Person und ihm sei egal, was andere über ihn denken. Die Pressekonferenz war vorbei, nachdem ein englischsprachiger Reporter ihn auch noch mit „Robert“ ansprach. Natürlich wurde Christoph Harting heftig für sein Verhalten kritisiert, zu Recht. Er muß ja keine Fragen zu seinem Privatleben beantworten, aber als Leistungssportler auf hohem Niveau und jetzt auch noch Olympiasieger hat er eine Vorbildfunktion und sollte wenigstens kurze Interviews zur Sache geben und seine Wettkampf kommentieren. Letztendlich war er aber wohl schlichtweg mit der Situation überfordert und hat das auch später eingesehen und sich entschuldigt. Der Bronzemedaillengewinner Jasinski kam viel sympathischer rüber. Er ist polnischer Abstammung und spricht Polnisch, was die polnischen Medien freute, denn der Silbermedaillengewinner war auch ein Pole. Daniel Jasinski sagte in der Pressekonferenz sogar etwas auf Polnisch, mit einem lustigen deutschen Akzent.

Am Abend wurde es dann richtig hektisch. Im Halbfinale der 400m durfte ich mich auf eigenen Wunsch um Wayde van Niekerk aus Südafrika kümmern. Nur ich und eine Handvoll südafrikanischer Journalisten wollten mit ihm sprechen, obwohl er Weltmeister ist (ich erinnert mich noch gut, wie er im letzten Jahr in Peking nach seinem Lauf erschöpft zusammengebrochen war), denn er hatte keine so grandiose Zeit. Am nächsten Tag, als er mit Weltrekord Olympiasieger wurde, war das Interesse an ihm größer. J Auch auf den Silbermedaillengewinner im Weitsprung aus Südafrika wartet außer mir, also dem Olympic News Service, so gut wie niemand, so daß ich ihn fast alleine interviewen konnte. Ansonsten war ich noch bei Shelley-Ann Fraser Pryce, die im 100m Lauf noch einmal Bronze gewann und ein paar anderen wie der Olympiasiegerin im Siebenkampf, einer Belgierin. Bis wir mit allem durch waren, war es 1.30 morgens und wir brauchten noch eine Stunde für den Heimweg.

Das Olympiastadion war leider nicht sehr gut besucht. Vielleicht sind die Tickets zu teuer, vielleicht ist auch einfach das Interesse der Brasilianer an der Leichtathletik nicht so groß.

 

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Deutsch-türkische Freundschaft beim Ringen 🙂

Am nächsten Morgen mußte ich schon zum Ringen. Ringen finde ich, ehrlich gesagt, nicht so attraktiv. Aber na ja, muß halt auch sein. Im griechisch-römischen Stil dominieren Sportler aus Rußland und ehemaligen Sowjetrepubliken sowie dem Nahen Osten. Der Vorteil ist, daß viele Russisch sprechen. Das kommentierte ein russischer Kollege mit den Worten „Dank sei der Sowjetunion“. Ein Olympiasieger aus Armenien weigerte sich, dem offiziellen Kanal OBS ein Interview zu geben, aber mit mir und dem russischen Kollegen sprach er (in gutem Russisch). Ein Highlight war der massige Kubaner Mijain Nunez Lopez, genannt „The Kid“, der im Schwergewicht seinen dritten Olympiasieg holte und auf der Matte die Hüften für einen Siegestanz schwang. Im Tanzen würde er keine Medaille gewinnen. 😉

Ich habe aber einen netten jungen deutschen Ringer getroffen, Denis Kudla, der überraschend die Bronzemedaille gewann. Auch den hatte ich in der mixed zone für mich alleine. Die deutschen Journalisten hatten eher auf einen Erfolg des Weltmeisters Frank Stäbler am nächsten Tag gehofft, aber der war wegen einer Fußverletzung nicht in Topform und schied in der Repechage aus. Den habe ich wiederum verpaßt, weil das mein freier halber Tag war, den ich zum Wäsche waschen und einkaufen nutzte. Mein Kollege Giacomo übernahm den Vormittag, ich dann den Nachmittag und Abend beim Ringen.

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Denis Kudla (links) gewann überraschend Bronze

 

Am Rande gab es auch noch einige Ereignisse. Tragisch war der Unfall des deutschen Kanu-Trainers Stefan Henze, der mit dem Taxi verunglückte und am Montag an seinen schweren Kopfverletzungen starb. Er war Organspender und seine Familie stimmte der Spende zu, so daß schwerkranken Brasilianern geholfen werden konnte, eine großzügige Geste der Familie. Auch ein französischer Physiotherapeut kam ums Leben.

Aus der Abteilung „Einstürzende Neubauten“ ist zu berichten, dass im Olympiapark eine große, schwere Kamera, die an Seilen befestigt den Park filmt, plötzlich auf ca. 20 Metern Höhe abstürzte. Zum Glück wurden nur drei Menschen leicht verletzt, das hätte auch anders ausgehen können.

Eine Gruppe von US-Schwimmern behauptete, von bewaffneten Männern ausgeraubt worden zu sein, aber das stimmte wohl nicht. Warum denkt man sich sowas aus? Wollten die sich wichtig machen? Die Sache wird noch untersucht. Außerdem nahm die Polizei einen ranghohen IOC-Offiziellen, Patrick Hickey, im Morgenmantel in seinem Hotel unter Korruptionsverdacht fest. Er soll in illegalen Tickethandel verwickelt sein. Leider überraschen solche Nachrichten kaum noch jemanden. Manche Leute bekommen den Hals nicht voll, aber nun erstickt er wohl an seiner Gier.

 

Startschuß

Der Startschuß ist gefallen und wir sind schon mittendrin in den Olympischen Spielen in Rio. Wenn es einmal angefangen hat, vergeht die Zeit noch schneller. Aber zuerst galt es noch die Eröffnungsfeier zu überstehen.

Ich gehörte zu den „Glücklichen“, die Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier interviewen sollten. Meistens kommt dabei nur bla bla heraus, dabei ist es ein riesiger Aufwand. Wir sollten schon um 12.30 Uhr vom Main Press Center zum Stadion fahren, aber ich war noch beim Taekwondo-Training und hatte ein Interview mit dem türkischen Olympiasieger Servet Tazegül (der aus Nürnberg kommt), und das war mir wichtiger als die Eröffnungsfeier, zumal die Athleten erst gegen 18 Uhr eintreffen sollten.

Bei der Eröffnungsfeier drehen sowieso fast alle durch. Straßen werden gesperrt, der Busverkehr eingestellt, die Metrostation geschlossen … Ab vier Uhr nachmittags sollte kein Bus mehr fahren. Wir sind um 13 Uhr los, dann mußten wir uns durch die lange Schlange bei der Sicherheitskontrolle quälen und waren natürlich trotzdem viel zu früh da.

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„The Minions“ – der Olympic News Service für Rio 2016

Die Eröffnungsfeier fand im Maracana Stadion statt, die meisten Teams versammelten sich in der kleineren Halle daneben (hier finden sonst die Volleyballspiele statt). Zuerst hieß es, wir dürften im Pressezentrum dort auf unseren Einsatz warten, aber dann wollten sie schließen und warfen uns raus. Wir hingen im Pressezentrum des großen Stadions rum und setzten uns später auf die Pressetribüne der Volleyballhalle.  Ich sollte die Fahnenträger von China, Rußland und Frankreich interviewen, dazu habe ich selbst noch die Deutschen und die Fahnenträgerin des Kosovo hinzugefügt. Also waren fünf Flashquote geplant, und dafür ging mehr als der halbe Tag drauf!

Den Chinesen habe ich allerdings nicht gefunden. Keiner im Team wußte, wo er war. Der Russe, ein Volleyballspieler, gab ein paar vernünftige Kommentare ab. Natürlich habe ich ihn nach der Doping-Affäre und dem Ausschluß einiger Sportler gefragt und er sagte, daß die Situation für die russischen Athleten schwierig sei, und dass es zwar ein Dopingproblem gebe, die sauberen russischen Sportler darunter aber nicht leiden sollten. Auch Majlinda Kelmendi aus dem Kosovo war interessant, denn Kosovo war das erste Mal bei Olympischen Spielen vertreten. Sie sprach darüber, was es für sie und Kosovo bedeute, gerade weil das Land arm und noch vom Krieg gezeichnet sei. Vor vier Jahren in London habe ich Majlinda, eine erfolgreiche Judoka, bei den Olympischen Spielen in London interviewt. Damals mußte sie unter der Flagge Albaniens antreten, weil das IOC Kosovo noch nicht anerkannt hatte. Ein paar Tage später gewann Majlinda tatsächlich Gold und ich konnte sie wieder interviewen. 🙂

Wenigstens kamen wir nach unseren Interviews schnell weg aus der Halle und konnten bis zu einer nicht gesperrten Straße laufen, um ein Taxi zurück in unser Mediendorf zu nehmen. Muß ich noch erwähnen, daß wir natürlich nichts von der Eröffnungsfeier gesehen haben? Aber das war nicht so schlimm, meistens ist es doch immer dasselbe. Die Sportler sehen auch nicht viel, übrigens. Dabei sollten sie die Hauptpersonen sein.

Dann begannen sieben Tage des Judo-Wettbewerbs. Sie waren spannend und es gab viele schöne und traurige Geschichten. Die meiner Meinung nach schönste und gleichzeitig sehr traurige ist die von Rafaela Silva, die in der Kategorie bis 52 Kilo die erste Goldmedaille für die Gastgeber holte. Rafaela kommt aus einer Favela, als einer Art Slum, in Rio. In London schied sie frühzeitig aus und wurde daraufhin von Rassisten und „Hatern“ im Internet auf das Übelste beschimpft. Diese Leute (als Fans möchte ich sie nun wirklich nicht bezeichnen) schrieben zum Beispiel, daß Affen in den Käfig gehörten und daß sie Schande über ihre Familie gebracht habe. Was denn nun ihre Antwort sei, wurde Rafaela in der Mixed Zone gefragt. „Nichts weiter als diese Medaille um meinen Hals“, sagte sie. Dann hatten wir noch den Tschechen Lukas Krpalek, der die -100kg gewann, Tschechiens erste olympische Judomedaille. Er hatte bei der Siegerehrung (und den ganzen Tag) ein Photo bei sich, das seinen Teamkameraden und einen seiner besten Freunde, Alexander Juracek, zeigt, der tragischerweise im Alter von 24 Jahren im vergangenen September bei einem Tauchunfall ums Leben gekommen war. In der Mixed Zone erzählte er mir, wie er den ganzen Tag an seinen Freund gedacht habe und das Photo immer bei sich getragen habe und er zeigte mir das Bild. Da hatte ich auch schon fast Tränen in den Augen. Natürlich möchte ich auch Szandra Szögedi erwähnen, eine gebürtige Ungarin, die für Ghana startet und die ich kennengelernt habe, als ich für die Europäische Judo Union gearbeitet habe. Szandra ist Kommentatorin für Judoübertragungen, aktive Sportlerin und startet für Ghana (ihr Ehemann kommt aus Ghana). Sie qualifizierte sich für Rio, aber sie hatte keinen einfachen Weg und dann hatte sie ausgerechnet eine starke Brasilianerin als Gegnerin (und verlor). Aber sie gab mir ein tolles Interview, die Zitate wurden von unserem Newseditor gelobt.

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Szandra bei ihrem Auftritt im olympischen Wettkampf in Rio

In der Mixed Zone sind die Emotionen oft sehr unmittelbar und echt. Ich sah Sportler, die als Favoriten in den Wettkampf gegangen waren und gerade in der Vorrunde verloren hatten, die mit hängenden Kopf oder weinend an den Journalisten vorbeigehen. Ein supernetter Ukrainer, Georgi Zantaraia, den ich im Vorfeld beim Training interviewt hatte, verlor seinen ersten Kampf. Er ließ sich in einer Ecke in der Mixed Zone auf den Boden sinken und weinte, aber er sah auf, erkannte mich und begrüßte mich. Als ich und eine ukrainische Journalistin zu ihm sagten, wir könnten auch warten, bis er sich beruhigt habe, sagte er nein, er sei gleich so weit, dann riß er sich zusammen und sprach über seinen geplatzten olympischen Traum.

Mir fällt es schwer, die Sportler in so einem bitteren Moment mit Fragen zu quälen oder einen Kommentar aus ihnen herauszuholen. Aber wer nicht sprechen will, der muß es nicht. Manchmal habe ich auch das Gefühl, daß es ihnen gut tut, wenn sie darüber sprechen können, was ihnen gerade passiert ist oder daß sich überhaupt noch jemand für sie interessiert.

Freude und Leid, Tränen und Lachen sind immer nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt, wenn die Sportler in der Mixed Zone stehen, genau wie im Wettkampf ein Millimeter, ein Sekundenbruchteil den  Unterschied machen kann.

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Unser Team auf der Pressetribüne mit Fernando (links), Cory (stehend) und Cody.

Mein Team beim Judo (und Ringen) besteht aus mir und zwei Flash Quote Reportern. Diese zwei gehören zu einer Gruppe US-amerikanischer Journalistik-Studenten, die als Freiwillige von ihren Universitäten zu uns geschickt wurden. An zwei Tagen half auch noch einer unserer Stamm-Reporter, Fernando (aus Argentinien, aber er lebt in Rio) aus. Das war gut, denn wir hatten jeden Tag acht Medaillengewinner und wollten von jedem ein Zitat haben. Die Pressekonferenzen fanden mal statt, mal nicht, und waren chaotisch. Meistens gab es nur eine, wenn ein Medaillengewinner aus Brasilien dabei war und es kamen auch nicht alle Medaillengewinner. Ein Usbeke (Bronzemedaille) ist uns so ganz durchgegangen. Aber das ist eben Pech und ich glaube, keiner hat es groß gemerkt.

Meine Flash Quote Reporter Cory und Cody haben schnell begriffen, worauf es ankommt und stellen sich gut an, sind natürlich nicht so schnell, aber das kann ich nicht erwarten. Sie murren auch nicht, wenn viel zu tun ist und ich denke, es macht ihnen Spaß.

 Am letzten Tag des Judo-Wettbewerbs traf ich dann noch einen ehemaligen Eiskunstläufer, Nobunari Oda, aus Japan, der für das Fernsehen verschiedene Sportarten kommentiert. Auf einmal sah ich Nobu auf dem Bildschirm und habe ihn auf der TV-Plattform seines Senders gefunden.

 Eigentlich hatte ich mich auf einen mehr oder weniger freien, jedenfalls ruhigen, Tag nach der Judo-Woche gefreut, aber Pustekuchen. Ich durfte am Samstag direkt bei der Leichtathletik aushelfen. Dazu mehr beim nächsten Mal!

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Wiedersehen mit einem guten Bekannten aus der Eiskunstlauf-Welt beim Judo.

Rio 2016: Einstürzende Neubauten

Ja, ich gebe zu, das ist jetzt ein sehr reißerischer Titel. Aber ich konnte nicht widerstehen. 😉 (und die gleichnamige Musikband möge mir die „Anleihe“ verzeihen)

Die Brasilianer geben sich viel Mühe, viele Sportstätten sehen super aus, Rio ist eine faszinierende Stadt und bietet eine tolle Kulisse, aber man merkt doch immer wieder, daß Brasilien ein Land ist, das in einer wirtschaftlichen und politischen Krise steckt.

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Die Christusstatue im Morgennebel

Man kann lange darüber diskutieren – soll so ein Land wie Brasilien ein Großereignis wie die Olympischen Spiele ausrichten? Wäre das Geld nicht besser in Schulen, Krankenhäuser und Infrastruktur investiert als in Sportstätten? Oder bringen die Investitionen und das olympische „Erbe“ den Brasilianern so viel, daß es den Aufwand rechtfertigt? Ich finde, eher nein. Andererseits muß ich sagen, daß das Land, als es sich bewarb und vor sieben Jahren den Zuschlag erhielt, im Aufschwung befand. Die Abwärtsspirale setzte erst später ein.

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Mit der Zahnradbahn fuhren wir nach oben

Es gab in Brasilien durchaus Proteste gegen die Olympischen Spiele. Besonders der ohnehin vergleichsweise wohlhabende Stadtteil Barra da Tijuca profitiert von Rio 2016, unter anderem mit einer neuen Metrolinie, die gerade noch rechtzeitig fertig wurde und am 1. August ihren Betrieb aufnimmt.  Außerdem gibt es Schnellbuslinien auf eigenen Fahrspuren (BRT), die wie die U-Bahn ungestört von Staus vorankommen. Angeblich sollen 65 Prozent der Bewohner Rios von den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur profitieren. Ich hoffe mal, das stimmt.

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Ein wolkennebelverhangener Blick auf Rio

Aber man merkt eben schon, dass die Gebäude schnell hochgezogen wurden und die Qualität erst an zweiter Stelle kommt. Dazu las ich einen kritischen Artikel über den Bau unseres Mediendorfes Barra Village 3 (BV3). Zum einen sollen massenhaft Bäume abgeholzt worden sein (BV3 grenzt direkt an bewaldete Hügel), zum anderen seien die Arbeiter „wie Sklaven“ behandelt und ausgebeutet worden. Und zu allem Überfluß soll BV3 (passenderweise) auf einem ehemaligen Sklavenfriedhof errichtet worden sein. Wir haben aber nachts noch keine Zombies im Dorf rumlaufen sehen (die sehen wir sicher am Ende der Spiele, wenn erschöpfte Journalisten umherschleichen).

P1190650 kleinDer Zuckerhut ließ sich zwischendurch mal blicken

In unserem Dorf hatten einige Leute Probleme mit nicht vorhandenem heißen Wasser oder verstopften Abflüssen. Drei Betten sind auch schon zusammengekracht, zwei davon mitten in der Nacht. Und die drei Männer waren alle keine Schwergewichte (und versicherten, allein im Bett gewesen zu sein). Das Olympische Dorf war wohl auch noch nicht ganz fertig, als die Australier als eine der ersten Mannschaften dort einziehen sollten. Sie weigerten sich erst einmal. Der Bürgermeister von Rio machte sich darüber lustig und schlug vor, den Australiern ein Känguruh zu geben, damit sie sich wohler fühlten. Witze über Känguruhs kommen bei Australiern aber nicht gut an. Der Bürgermeister entschuldigte sich später und bekam ein Känguruh-Stofftier geschenkt. Die Australier traf es dann auch am Freitag, als sie wegen eines Mülltonnenbrandes ihre Zimmer verlassen mussten. Der Feueralarm sei abgeschaltet gewesen, berichtet die Webseite Inside the Games, und als sie Australier in ihre Zimmer zurückkamen hätten sie entdecken müssen, dass einige Laptops und Kleidungsstücke gestohlen worden seien. Der Präsident des georgischen Judoverbands sagte mir, ich solle besser nicht nach den Bedingungen in der Unterkunft fragen, seine Jungs hätten nicht mal duschen können. Dann fügte er hinzu: „Aber wir sind für Medaillen hierhergekommen, nicht für den Komfort.“

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Frühstück nicht bei Tiffanys, sondern auf dem Corcovado

Vor einigen Wochen hatte eine Flutwelle einen Teil der olympischen Radrennstrecke, die spektakulär an der Küste entlangführt, unterspült und weggerissen. War es Pfusch am Bau? Die Strecke haben sie repariert, ich hoffe, es hält alles. Bei den Seglern ist eine Rampe zusammengebrochen, wie ich heute in unserem Info-System las.
Das klingt jetzt alles ein wenig chaotischer, als es wirklich hier ist. Das sind sicher alles Einzelfälle, Probleme gibt es überall bei einer Veranstaltung von dieser Größenordnung. Einige Zwischenfälle sind jedoch sicher auch auf eine gewisse Überforderung zurückzuführen.

Heute früh bin ich mit einigen anderen zur Christusstatue gefahren. Auch wenn es recht wolkig war, bekamen wir einen Eindruck vom tollen Panorama der Stadt und die Wolken gaben dem sogar einen besonderen Reiz. Die Bilder in diesem Beitrag stammen von dem heutigen Ausflug und sind sicher schöner als die von zusammengekrachten Betten.  🙂

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Blick aus dem Zug auf der Rückfahrt – unten hatte es schon aufgeklart

Rio 2016: Vom Trainingsplan und anderen kleinen Problemen

Rio bereitet sich sichtbar auf das größte Sportereignis der Welt vor, aber nicht alles läuft glatt. Unsere Vorbereitungen sind leichter zu erledigen, wir schreiben unsere Vorschauen und versuchen, Sportler für erste Interviews beim Training „abzugreifen“. Das ist je nach Sportart ganz unterschiedlich. Manche sind schon hier und trainieren vor Ort, andere sind zwar in Brasilien, aber haben sich private Trainingsmöglichkeiten organisiert, wieder andere sind noch in weiter Ferne. Im Info, dem Informationssystem für die Olympischen Spiele, in dem unsere Artikel vom Olympic News Service (ONS) veröffentlicht werden, gibt es Trainingspläne. Aber die haben nicht immer etwas mit der Realität zu tun, weil die Teams ihre Zeiten kurzfristig ändern oder sich gar nicht anmelden und dann im wahrsten Sinne des Wortes plötzlich auf der Matte stehen (jedenfalls für meine Kampfsportarten). Also kann es passieren, dass wir völlig umsonst zu einem Training fahren.

Zum Glück ist das Trainingszentrum „Athletes Park“, in dem unter anderem die Judoka und die Ringer trainieren können, nur ca. 20 Minuten Fußweg vom Main Press Center (MPC) entfernt. Also wenn ich mich umsonst dorthin begebe, ist es nicht so schlimm. Viel ärgerlicher ist es, wenn man wer weiß wie weit fahren muss. Der Athletes Park ist eine Ansammlung von temporären Trainingsstätten in weißen Zelten, sogar ein Schwimmbad ist dabei! Am Dienstag habe ich erstmals das Judo-Training aufgesucht und einen einzigen Sportler aus Mozambique angetroffen, Marlon Acacio. Da er der erste Judoka war, der dort trainierte, schnappte ich ihn mir für ein Interview, zu dem er gerne bereit war. Und ich hatte Glück, er hatte auch noch eine interessante Geschichte zu erzählen. Er ist 2008 schon bei den Olympischen Spielen gestartet, allerdings für Südafrika. Dort ist er geboren und aufgewachsen. Dann beendete er seine Karriere aus finanziellen Gründen, doch 2012 entschloss er sich zur Rückkehr. Der südafrikanische Verband glaubte nicht daran, dass er sich qualifizieren könnte und unterstützte ihn nicht, daher wechselte er nach Mozambique. Von dort kommen seine Eltern. Es kam also bei dem Interview ein netter kleiner „News Article“ heraus.

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Blick auf den Athletes Park

Die Leute im Trainingszentrum sind sehr hilfsbereit und freundlich, auch wenn die Verständigung nicht so leicht ist, denn sie sprechen kaum Englisch oder eine andere Fremdsprache. Ich kann kein Portugiesisch, verstehe zwar dank meiner Französischkenntnisse viel, aber wenn ich etwas sagen möchte, kommt ein Mix aus Spanisch und Italienisch heraus, was ich beides auch nur ein bisschen spreche. Aber sie helfen mir, so gut es geht und stellen Informationen zur Verfügung. Es hängt viel davon ab, wie die Leute sind.

Mein armer Kollege Giacomo dagegen hat beim Fechten Pech, dort ist er beim Training nicht erwünscht, angeblich will der Fechtverband das nicht. Er stößt also nur auf Widerstand. Die Sportler sind anscheinend auch viel zickiger als die Judoka.

Weil beim Judo wieder nur Marlon aus Mozambique trainierte, habe ich am Mittwoch einen halben Tag „geschwänzt“ und bin zum Zuckerhut gefahren, denn das Wetter war toll (und wurde dann wieder schlechter). Der Zuckerhut hat mir gut gefallen. Man fährt mit der Seilbahn rauf und es eröffnet sich von dort ein tolles Panorama aus Meer, Stränden, felsigen Inseln, Bergen und der Stadt, die sich in die grünen Hügel eingefressen hat. Es wird von diesen Olympischen Spielen atemberaubende Bilder geben, das ist sicher. Diese Kulisse, dieses Panorama ist einmalig, und ich kann die Faszination für Rio verstehen. Ich war übrigens allein unterwegs und bin auch mit öffentlichen Bussen gefahren und wurde weder beklaut noch belästigt.

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Blick vom Zuckerhut auf Rio

Als ich am Nachmittag wieder in unsere Halle Carioca kam, hatten wir gerade einen Stromausfall im Pressezentrum. Zum Glück hielt er nur etwa eine halbe Stunde an. Aber ich stelle mir vor, was es für ein Chaos gäbe, sollte das im Wettkampf passieren. Die Wettkampfhallen für Judo und Fechten befinden sich noch im Aufbau. Von daher schärfte die Venue Media Managerin (VMM) uns ein, dass wir aufpassen sollten, dass Journalisten keine Photos machen. Was ich aber jetzt nicht schlimm fände. Jetzt muss die Halle noch nicht fertig sein. Unsere VMM hat aber nicht gesagt, dass wir keine Photos schießen dürfen. 😉

Am Donnerstag ging es wieder zum Judo-Training, diesmal stand Georgien auf dem Plan. Georgien ist eine Top-Nation im Judo, alle Starter sind Medaillenkandidaten. Erstmals ist auch eine Frau in der olympischen Judomannschaft von Georgien, eine gebürtige Holländerin. Das Training war zunächst ab 10.30 Uhr angesetzt, dann aber kam ein update und es sollte um 9 Uhr beginnen. Also war ich um kurz nach neun da. Von den Georgiern aber war nichts zu sehen! Und auf dem Trainingsplan in der Halle stand auch noch die alte Zeit von 10.30 Uhr. Wer warum dieses „update“ veröffentlicht hat, weiß ich nicht. Aber ich war schon froh, daß die Georgier gegen 10.45 dann tatsächlich aufgetaucht sind. Einige davon kenne ich von anderen Wettbewerben, sie mich auch, und sie freuten sich anscheinend, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Ich konnte insgesamt vier Interviews machen, eine gute Ausbeute.

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„Sneak Preview“ der Judo-Wettkampfhalle

Giacomo dagegen im Trainingszentrum auf der anderen Straßenseite hatte wieder nur Pech mit den Fechtern. Zwar durfte er diesmal rein, aber die Franzosen wollten keine Interviews geben.

Ich kehrte in unsere Halle zurück, aber zunächst funktionierten die Computer nicht und beim Check In wollten mir keinen Essensgutschein geben. Ich hatte offiziell einen freien Tag. Haben wir natürlich nicht wirklich, aber das brasilianische Arbeitsrecht fordert einen freien Tag pro Woche, Olympische Spiele hin oder her. Das bedeutet, dass wir zum Arbeiten kommen und uns keine Voucher zustehen, aber einen übriggebliebenen habe ich noch ergattert.

Vor allem wegen der Computerprobleme brauchte ich recht lang, bis ich meine Georgier verarbeitet hatte. Ich latschte dann wieder zurück zum Trainingszentrum, weil ich die Ukrainer sehen wollte. Und dann waren sie schon weg, als ich kurz vor Ende ihrer angesetzten Trainingszeit dort ankam. Sie waren früher gegangen!

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Blick auf Zuckerhut und das Meer

Rio 2016: Vorbereitungen

 

Die Tage hier in Rio fliegen nur so vorbei! Am Donnerstag haben mein Kollege Giacomo und ich zum ersten Mal unsere Wettkampfhalle besucht, unser „venue“. Wir sind im Olympiapark, das ist ein großes Gelände mit vielen Sportstätten im Stadtteil Barra, da, wo auch das Main Press Center (MPC) gelegen ist. Unter anderem haben wir die Wettkampfstätten für Schwimmen, Handball, Basketball, Tennis in diesem Park und eben auch die Hallen Carioca 1,2 und 3. Wir sind mit unseren Sportarten Judo, Ringen, Fechten und Taekwondo in Carioca 2 und 3. Die liegen direkt nebeneinander und teilen sich auch ein Pressezentrum. Carioca 1 beherbergt Basketball.

Ich werde Judo und Taekwondo „beackern“, Giacomo kümmert sich ums Fechten und Ringen teilen wir uns. Wir trafen am Donnerstag unsere „VMM“ (Venue Media Managerin) Pollyanna, eine junge und sympathische Brasilianerin, die alles gut im Griff zu haben scheint. Die Zusammenarbeit mit ihr verspricht sehr gut zu werden. Es hängt eben viel von den Personen ab, mit denen man arbeitet. Manche sind unkooperativ, andere genau das Gegenteil. Pollyanna stellte uns auch den Sportmanagern für Fechten, Judo und Taekwondo vor. Den „Fechtmeister“ kannte ich noch von den Europaspielen in Baku, auch er ist sehr freundlich und hilfsbereit. Der Judo-Mensch war ebenfalls sehr nett, wie auch der Taekwondo-Sportchef, das ist ein Amerikaner. Es ist sehr wichtig, einen guten Kontakt zu diesen Leuten zu pflegen, denn sie können uns bei Fragen weiterhelfen und auch Kontakte vermitteln. Wenn zum Beispiel etwas Unvorhergesehenes passiert, können wir uns dort Rat holen.

Den Sportmanager für Ringen haben wir nicht angetroffen, aber das holen wir noch nach. Ringen ist eine Sportart, die mir nicht besonders gefällt, aber ich muß mich natürlich trotzdem mit ihr befassen.

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Der malerische Stadtteil Santa Teresa

Carioca 2 und 3 sind nicht besonders groß, von daher sind die Wege kurz, sowohl von der Tribüne in die Mixed Zone als auch von der Mixed Zone ins Pressezentrum, wo wir unser Büro haben. Anders als früher gibt es kein extra ONS (Olympic News Service) Büro, sondern ein gemeinsames zusammen mit der VMM und ihrem Team. Bei Olympia liebt man ja die Titel, jeder ist Manager von irgendwas. Ich habe mich zum VPM ernannt – Venue Punching Manager, weil ich die Transportkarten für unsere Leute gelocht habe. 😉 Die kurzen Wege jedenfalls sind sehr erfreulich. In London war unser Büro auf einer anderen Etage und ziemlich weit weg vom Geschehen.

Auf dem Weg zu unseren Hallen haben Giacomo und ich wieder mit der Umweg-Regel Bekanntschaft gemacht. Bei Olympia gilt: Gehe nie den direkten Weg! Denn der ist garantiert versperrt. Wir sind einen riesigen Bogen um den ganzen Olympiapark gelatscht, bis wir endlich an den Eingang kamen. Auf dem Weg waren just an diesem Tag Massen von Soldaten aufgereiht, die meisten mit Gewehren. Sie standen auch rund ums MPC. Wir hatten gehört, daß zehn mutmaßliche Terroristen in Brasilien festgenommen worden seien. Vielleicht hing es damit zusammen. Giacomo und ich brauchten 45 Minuten. Für den Rückweg verriet uns Pollyana einen kürzeren Weg, allerdings mußten wir auch dort einen kleinen Umweg nehmen, weil ein Ausgang nur für Fahrzeuge und einer für Fußgänger war (den aber Autos auch benutzen durften).

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Blick auf Rio von Santa Teresa

 

Am Freitag war „lockdown“, das ist die ultimative Sicherung der Gebäude bzw. Venues. Alles wird gefilzt und nach dem „lockdown“ sind strenge Sicherheitskontrollen in Kraft. Am Samstag führte das zu langen Schlangen am MPC, auch, weil die Durchleuchtungsmachinen entweder nicht funktionierten oder bewußt nicht genutzt wurden und die Soldaten alles per Hand durchwühlten. Wir hatten am Freitag frei, damit der Security Sweep ungestört stattfinden konnte. Am Donnerstagabend hatten wir unsere ONS Party in einer Sportbar unweit der Copacabana, aber ein paar andere und ich sind um Mitternacht gegangen, weil wir am nächsten Tag nicht so spät aufstehen wollten. Von der Copacabana zu unserem Mediendorf ist es selbst ohne Verkehrstau eine Stunde Fahrt.

Wir wären am Freitag gerne zur berühmten Christus-Statue gefahren, dem Wahrzeichen Rios, aber da es bewölkt war, haben wir darauf verzichtet. Mit ein paar anderen war ich daher im Künstlerviertel Santa Teresa unterwegs, und wir hatten einen schönen Blick auf die Stadt. In Santa Teresa trafen wir noch auf unsere anderen Kollegen und marschierten zusammen wieder vom Hügel in die Stadt runter, über eine mit vielen Kacheln verzierte Treppe. Dieses Kunstwerk ist eine Touristenattraktion. Der Künstler, ein Chilene, wurde leider vor drei Jahren auf der Treppe ermordet. Den Tag ließen wir mit Souvenir-Shopping und einem Abendessen in der Nähe der Copacabana ausklingen.

Weil es schon spät war, brauchte der Bus nur knapp 50 Minuten zurück zum MPC. Allerdings durften wir dann etwa eine halbe Stunde auf unseren Anschluß ins Mediendorf warten. Busse über Busse standen auf dem Platz vor dem MPC, der „Main Transport Mall“ (MTM), aber es fand sich kein Fahrer für unseren Bus. Irgendwas war mal wieder schiefgelaufen. Ab Samstag sollen von der MTM aus Busse zu allen Veranstaltungsorten und zur Innenstadt sowie den Hotels und Mediendörfern fahren. Außerdem gibt es Shuttles in den Olympiapark und den Venues dort.

 

Am Samstag habe ich im MPC gearbeitet, an den Vorschauen für Judo und Taekwondo und an zwei Artikeln. In einem Artikel geht es um die Neuerung im Taekwondo, daß Sportler Hosen in Landesfarben tragen dürfen (bisher waren sie traditionell weiß). In dem anderen Artikel berichte ich über die Wahl des Fahnenträgers für die deutsche Olympiamannschaft, an der sich in diesem Jahr erstmals auch Fans und Sportler beteiligen können. Diese Artikel erscheinen im System „Info+“, das aber nur für akkreditierte Journalisten und die „Olympic Family“ zugänglich ist. Seit Samstag müssen wir auch unsere Uniform tragen, wenn wir im Dienst sind.

Anmerkung zum Thema Sicherheit: Der erste von uns wurde am Freitagabend Opfer eines Taschendiebs an der Copacabana. Aber zum Glück soll nicht so viel Geld weggekommen sein, habe ich gehört.

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Samstag war der erste Tag in Uniform für alle

 

 

 

 

Rio 2016: Endlich Zuckerhut und Copacapana!

Ich bin schon eine Woche in Rio, aber außer dem MPC (Main Press Center), dem Mediendorf und seiner unmittelbaren Umgebung hatte ich nichts gesehen. Daher nutzte ich den arbeitsfreien Mittwoch mit ein paar Kollegen zu einem Sightseeingtrip. Eigentlich wollten wir auf einen Aussichtspunkt in einer (befriedeten) Favela steigen, aber das Wetter war nicht so toll, bewölkt, es regnete sogar ein bißchen, so daß wir davon Abstand nahmen. Die Sicht wäre nicht so gut gewesen. Stattdessen sind wir direkt zur Copacabana gefahren. Das ist ja einer der berühmtesten Strände der Welt, und in der Tat eindrucksvoll. Schöner Sandstrand, ein paar Palmen, Sportgeräte sind aufgestellt, Beachvolleyballnetze, und obwohl keine Badewetter war, waren einige Leute am Strand und spielten, joggten oder saßen einfach am Ufer. Alles wirkte sauber, an der Promenade gibt es sanitäre Anlagen mit Toiletten, Duschen und Schließfächern für die Strandbesucher. Die fliegenden Händler, die allerlei Kitsch und Kram anbieten, erkannten uns natürlich gleich als Touristen, aber sie waren nicht zu aufdringlich und zogen sofort ab, wenn wir „nein, danke“ sagten.

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Die berühmte Copacabana

Wir liefen also an der Copacabana entlang, kehrten in einem kleinen Restaurant in einer Seitenstraße ein und marschierten noch bis zum Zuckerhut, der auf brasilianische „Pao Acucar“, also „Zuckerbrot“ heißt. Da es schon dämmrig wurde, verzichteten wir auf die Fahrt mit der Seilbahn auf den Gipfel. Am Freitag ist noch ein freier Tag, weil da alle Wettkampfstätten und das MPC „lockdown“ haben, d.h. alles gesichert wird. Hoffentlich haben wir schöneres Wetter und es klappt dann mit dem Zuckerhut oder den anderen Aussichtspunkten.

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Der Zuckerhut

Denn der Countdown läuft, es sind noch knapp zwei Wochen bis zur Eröffnung der Olympischen Spiele. In unserem Mediendorf und am MPC wird noch fleißig gewerkelt und jeden Tag wird es etwas „fertiger“. Als ich am Dienstagabend aus dem MPC zurückkam, bemerkte ich, daß der Busparkplatz im Dorf frisch geteert war. Am Abend vorher fielen mir die mit Rindenmulch aufgehübschten Freiflächen auf. Am MPC wurde der Bürgersteig gemacht.

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Unsere Truppe am Zuckerhut

In mein Apartment ist inzwischen noch Giuliana („Gigi“), eine Italienerin, die ich von vielen anderen Events her gut kenne und die gut Deutsch spricht, eingezogen. Zusammen mit ihr stellten wir die Möbel in ihrem und meinem Zimmer um, um etwas mehr Platz zu haben. Denn irgendwie waren die Möbel unpraktisch angeordnet. Außerdem haben wir jede einen nicht funktionierenden Fernseher dort stehen, den wir nicht brauchen.

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Wohnbereich in unserem Apartment

Wir hatten Tage lang Training im MPC, um uns mit dem System vertraut zu machen. Das „ICMS“ ist das Programm, in dem wir unsere Texte schreiben werden. Neu ist, daß dort auch Audiodateien hochgeladen werden können, und wir sollen dort die Aufnahmen der Pressekonferenzen einspeisen. Das System wird immer weiterentwickelt und ist schon viel nutzerfreundlicher geworden. Aber man sollte trotzdem aufpassen und immer alles gut speichern, denn es sind schon Texte auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Das zweite, wichtige Programm ist „Info+“, eine für die akkreditierten Medienvertreter und die „Olympische Familie“ zugängliche Plattform mit Ergebnissen, Statistiken, Hintergrundmaterialien und eben unseren Meldungen, Artikeln und Flash Quotes, die wir dort einspeisen werden. Auch hier gab es ein paar Neuerungen. Z.B. werden jetzt auch Flash Quotes per Twitter veröffentlicht, die oben genannten Audiodateien sind abrufbar, und wir verlinken unsere Artikel untereinander.

Unser „Olympic News Service“ hat sich an veränderte Bedürfnisse angepaßt. Die Rolle des „Supervisors“ ist abgeschafft worden. Insgesamt sind auch weniger Reporter im Einsatz, weil weniger Material produziert werden soll. Statt ellenlanger Vorberichte, in denen jeder mögliche Medaillenkandidat erwähnt wird, sollen wir kurze Artikel liefern, die sich auf das Wesentliche konzentrieren. Auch sollen die Flash Quotes besser werden, nichtssagendes Bla Bla sollen wir nicht mehr wiedergeben. Weniger ist mehr. Das sehe ich auch so. Dafür können wir mehr „News Artikel“, Features schreiben.

Unsere Chefs, Lucia Montanarella und Patrick Moares, erläuterten uns die Umstrukturierung von ONS, die auf dem Feedback der Medien beruht. Dann kam die Stunde der Wahrheit, als wir erfuhren, welchen Sportarten wir zugeteilt wurden. Zuerst war ich enttäuscht, denn ich sollte Turmspringen und Synchronschwimmen betreuen. Doch ausnahmsweise konnte ich mit meiner Kollegin Lena tauschen. Denn sie hatte bei den Pan-Am-Games schon über diese Sportarten berichtet, dafür aber nie über Judo, was sie machen sollte. Ich durfte also zu Judo und Taekwondo wechseln. Ringen ist leider auch noch dabei, ich denke, das werde ich zusammen mit meinem Kollegen Giacomo „beackern“.

Im MPC können wir in der Mitarbeiter-Kantine essen. Die Auswahl ist ganz gut, das Essen leider etwas fleischlastig. Aber es gibt immer Salat, Obst, Reis, Kartoffeln, rote Bohnen, Gemüse und den „Sand“, Farofa, das ist Maniok-Mehl, eigentlich relativ geschmacklos, aber die Brasilianer schütten es über ihr Essen, egal, was es ist. 😉

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Mittagessen in der Kantine

 

Natürlich ist der mögliche komplette Ausschluß des russischen Teams ein Thema bei uns. Mir tun die Sportler leid. Ich habe leider keinen Zweifel daran, daß in Rußland viel gedopt wurde. Aber nicht nur dort! In anderen Ländern ist es nicht besser. Außerdem hat nicht jeder einzelne Sportler gedopt, besonders belastet sind laut dem Bericht die Leichtathletik, Gewichtheben und Ringen sowie „nicht olympische Sportarten“. Dann einfach alle auszuschließe, fände ich unfair. Auch wenn die russischen Sportler am Ende teilnehmen dürfen, wird es sicher ein schwerer Wettbewerb für sie werden.