Schlusspfiff – die letzten Wettkampftage in Rio

Die Spiele sind zwar vorbei, die Paralympics beginnen diese Woche (leider ohne mich), aber ich wollte doch noch meine Erlebnisse der letzten Tage von Rio 2016 nachtragen.

Am 17. August startete endlich (aus meiner Sicht) der Taekwondo-Wettkampf. Taekwondo trainiere ich seit mehr als 20 Jahren selbst, natürlich „nur“ auf breitensportlichem Niveau, aber unser langjähriger Trainer Claus Karg beim 1. Godesberger Judoclub hat immerhin einen Sportler zum WM-Titel geführt und einen anderen zur Silbermedaille bei den Olympischen Jugendspielen. Bei ihm habe ich lange auch Wettkampftraining mitgemacht, und auch heute noch gehe ich gerne zu diesen Trainingseinheiten. Taekwondo also liegt mir besonders am Herzen, einige Sportler kenne ich auch von anderen Wettbewerben, bei denen ich sie schon interviewt oder wenigstens gesehen habe.

 

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Auf der Pressetribüne beim Ringen mit Giacomo

Aus deutscher Sicht gab es gleich zum Auftakt die erste Enttäuschung, als Levent Tuncat in der Klasse bis 58kg wegen einer noch nicht komplett verheilten Verletzung am Auge nicht antreten konnte. Merkwürdig war, dass die Wettkampfleitung keine offizielle Mitteilung über seine Absage veröffentlichte, die Information war sehr versteckt und musste erst gefunden werden. Die Deutsche Taekwondo-Union hatte es aber auf ihrer Webseite gemeldet. Dennoch kamen einige deutsche Journalisten, die vergeblich auf Levent warteten. Beim Eiskunstlauf käme das nicht vor, bei jeder Absage geben wir eine offizielle Mitteilung heraus. Die Kämpfe insbesondere der Männer in dieser Gewichtsklasse gefielen mir nicht besonders, sie waren eher statisch, wirkten jedenfalls so, weil fast nur noch mit dem vorderen Bein getreten wird, am besten zum Kopf. Das ist einseitig. Leider gewann ein so langweilig kämpfender Chinese. Bei den Frauen wollte die zweifache Olympiasiegerin Jingyi Wu, ebenfalls eine Chinesin, eine dritte Goldmedaille holen, aber sie verlor überraschend gegen eine junge Serbin und flog auch in der Repechage raus.

 

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Rabia Gülec (rechts) in ihrem Kampf gegen Nur Tatar (TUR), den sie leider knapp verlor.

Das führte indirekt auch zu Mehrarbeit für mich! Eine der undankbarsten und lästigsten Aufgaben war es nämlich, die „medal presenters“ zu veröffentlichen. Dafür bekommen wir von der Protokollabteilung eine Info, wer die Medaillen und wer die Geschenke überreicht, also immer zwei Personen. Der „medal presenter“ ist eigentlich immer ein Mitglied des IOC, der „gift presenter“ meist ein Vertreter des jeweiligen Weltverbandes. Eigentlich sind das nur ein paar Zeilen, und die kurzen Biotexte für die IOC-Mitglieder hatten wir im Vorfeld vorbereitet. Doch es gibt zwei Probleme: 1. oft kommt die E-Mail mit der Info über die „presenters“ spät, wenn wir eigentlich keine Zeit mehr dafür haben und 2. manchmal ändert sich etwas in letzter Minute. Für die Siegerehrung der Frauen bis 49kg war IOC-Präsident Thomas Bach vorgesehen, mit dem dezenten Hinweis „to be confirmed“. Da wusste ich schon, wo der Hase langläuft. Ich war mir sicher, dass Bach nur die Medaillen vergibt, wenn Wu ihre dritte Goldmedaille gewinnt. Beim Judo war es ähnlich, da sagte man mir sogar direkt, er nimmt die Siegerehrung bei den Frauen bis 52kg nur vor, wenn Majlinda Kelmendi aus dem Kosovo gewinnt. Die gewann ja auch, Wu aber eben nicht. Daher hielt ich die Meldung über die medal presenters beim Taekwondo wohlweislich noch zurück. Und das war auch gut so, denn irgendwann kam dann das erwartete update, Bach ist raus, jemand anderes drin. Das ging ja noch. Aber am letzten Tag schossen die Protokoll-Leute den Vogel ab. Sie tauschten die „gift presenter“ aus und ich gab eine aktualisierte Meldung raus. Noch während des Finales (!!!) hieß es dann plötzlich Kommando zurück, die gift presenter sind wieder die wie ursprünglich vorgesehen. Mit diesem „Mist“ muss ich mich befassen, während auf der Matte um Gold gekämpft wird und die Medaillengewinner interviewt werden wollen. Ich war nah dran, diese Info zu ignorieren. Ich hätte die mail leicht übersehen können, wenn ich in der mixed zone beim Interview war. Doch dann wollte ich mich drum kümmern – und sah, dass zum Glück jemand beim CET (Central Editorial Team, also unsere Redakteure) schon dabei war.

 

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Servet Tazegül (TUR) im Gespräch mit seinem Trainer vor dem Kampf.

Am zweiten Tag war Servet Tazegül in Aktion, ein Deutsch-Türke aus Nürnberg, der für die Türkei kämpft und 2012 Olympiasieger wurde. Ihn habe ich schon ein paarmal interviewt, und er ist ein ganz Netter, dem ich die Daumen für eine dritte olympische Medaille (in Peking gewann er schon mal Bronze) drückte. Leider wurde nichts daraus, er verlor im Viertelfinale und in der Repechage. Den Sieg schnappte sich am Ende völlig überraschend der unbekannte Jordanier Ahmad Abughaush – gleichzeitig war es die allererste Olympiamedaille für sein Land. Die königliche Familie von Jordanien rief ihn an, um ihn zu gratulieren und ich weiß gar nicht, von was der Sportler mehr überwältigt war – vom Anruf des Königs oder von seiner Goldmedaille.

Am dritten Tag beobachtete ich besonders aufmerksam Steven Lopez, den zweifachen Olympiasieger, der mit 37 Jahren nochmal in den Ring stieg. Leider scheiterte er am Ende im Bronzemedaillen-Kampf. Die Story des Tages war der Sieg von Cheikh Sallah Cisse von der Elfenbeinküste, der den Favoriten Lutalo Muhammad (Großbritannien) in der wirklich allerletzten Sekunde des Matchs per Kopftreffer besiegte. It is not over until it is over, das musste der Brite bitter erfahren, dessen Aufmerksamkeit mit zwei Punkten Vorsprung in der letzten Sekunde des Finales wohl etwas nachließ. An Tag drei waren auch die Geschwister Rabia und Tahir Gülec aus Nürnberg im Einsatz. Rabia überzeugte, gewann ihren ersten Kampf gegen eine starke Russin, verlor dann leider knapp im zweiten und bekam nicht die Chance auf die Repechage. Ihr Bruder war wegen einer Fußverletzung gehandicappt, gewann zwar seinen ersten Kampf, verlor dann aber gegen Cisse und später in der Repechage. Der Afrikaner war übrigens der Publikumsliebling, die Brasilianer feuerten ihn heftig an und – was ich unfair fand – buhten seinen Gegner aus, insbesondere Tahir (der das darauf zurückführte, dass er Deutscher ist, denn die Zuschauer hätten ihm 7-1 mit den Fingern gezeigt, um an das legendäre WM-Halbfinale von 2014 zu erinnern).

Das Publikum hatte ohnehin wenig Ahnung vom Taekwondo, denn das ist kein großer Sport in Brasilien. Auch wenn berechtigt Treffer nicht anerkannt wurden, buhten sie immer wieder munter drauflos. Irgendwann war das nervig.

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Tahir Gülec (links) landet einen Treffer gegen seinen Gegner aus der Dominikanischen Republik.

 

Zum Schluss waren die Kämpfe im Schwergewicht auch etwas lahm, insbesondere die beiden Finales waren langweilig im Vergleich zu den anderen. Die beste Story brachte Pita Nikolas Taufatofua aus Tonga. Er war berühmt (und in Brasilien gleich zum Sexsymbol geworden), weil er bei der Eröffnungsfeier mit nacktem, von Kokosöl glänzendem Oberkörper als Fahnenträger von Tonga einmarschiert war. Er verlor seinen ersten Kampf, war chancenlos gegen einen Iraner, aber er bekam mehr Medienaufmerksamkeit als die meisten Medaillengewinner. Ich ging runter in die mixed zone und dachte, den interviewe ich jetzt mal und bin sicher die einzige, aber nein, mehrere Kollegen hatten den gleichen Gedanken. Der Mann aus Tonga entpuppte sich als witziger, charmanter und intelligenter Mensch, der neben dem Sport als Betreuer für obdachlose und selbstmordgefährdete Jugendliche arbeitet. „Ich bin kein Erfolg über Nacht, sondern ich habe 20 Jahre dafür gearbeitet, um hierher zu kommen und um Fahnenträger zu werden“, erklärte er.

 

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Flash Quote Reporterin Kylie und ich probierten unsere Techniken auch mal auf der Matte aus

Die vier Tage Taekwondo waren anstrengend, weil die Wettkämpfe um 9 Uhr morgens anfingen und das Finale erst um 22.30 Uhr vorbei war. Auch für die Sportler war dieser Zeitplan mit zwei Stunden Pause (nach dem Achtelfinale und dann wieder nach dem Halbfinale) ermüdend. Man wollte wohl Karten für drei Sessions verkaufen. In Tokio soll der Zeitplan besser sein, sagte mir der Sportmanager. Taekwondo könnte wie Ringen oder Judo mit einer Pause auskommen, finde ich auch.

A propos Ringen. Am letzten Tag, den 21. August, kehrte ich nochmal zum Ringen zurück und half Giacomo. Hier kam es noch zu einer unglaublichen Szene: In einem Bronzemedaillenmatch verlor ein Mongole gegen einen Usbeken, weil er in den letzten Sekunden des Kampfes vor seinem Gegner davonlief und, die Medaille vor Augen, auf der Matte herumtanzte. Dafür bekam er  – völlig zu Recht – einen Strafpunkt, weshalb der Usbeke gewann. Die Trainer des Mongolen drehten daraufhin völlig durch, rannten auf die Matte und zogen sich im Protest sogar bis auf die Unterhose aus (der eine jedenfalls) und warfen den Kampfrichtern ihre Klamotten vor die Füße. Es dauerte zehn Minuten, bis die aufgebrachten Trainer von der Matte eskortiert wurden und der Wettkampf mit dem nächsten Match weitergehen konnte. In der mixed zone lamentierten die Mongolen, dass ihnen die Medaille zu Unrecht weggenommen worden sei. Aber wer sich so verhält …

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Giacomo und ich als „Ringer“.

Giacomo und ich hatten übrigens auch noch unseren Spaß und sind mit unseren Flash Quote Reportern Kylie, Cory und Cody auch  mal auf die Ringer- bzw. Taewondo-Matte gegangen.

Die Schlussfeier habe ich verpasst. Bis Giacomo und ich nach dem Wettkampf zurück im Mediendorf waren und dann mit anderen in die Stadt fuhren, wo wir uns mit den Kollegen verabredet hatten, war schon fast alles vorbei. Der Sonntag war auch noch mein Geburtstag, aber so konnte ich ein bisschen mit den anderen feiern.

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Unser Team auf der Ringermatte

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