Der Startschuß ist gefallen und wir sind schon mittendrin in den Olympischen Spielen in Rio. Wenn es einmal angefangen hat, vergeht die Zeit noch schneller. Aber zuerst galt es noch die Eröffnungsfeier zu überstehen.
Ich gehörte zu den „Glücklichen“, die Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier interviewen sollten. Meistens kommt dabei nur bla bla heraus, dabei ist es ein riesiger Aufwand. Wir sollten schon um 12.30 Uhr vom Main Press Center zum Stadion fahren, aber ich war noch beim Taekwondo-Training und hatte ein Interview mit dem türkischen Olympiasieger Servet Tazegül (der aus Nürnberg kommt), und das war mir wichtiger als die Eröffnungsfeier, zumal die Athleten erst gegen 18 Uhr eintreffen sollten.
Bei der Eröffnungsfeier drehen sowieso fast alle durch. Straßen werden gesperrt, der Busverkehr eingestellt, die Metrostation geschlossen … Ab vier Uhr nachmittags sollte kein Bus mehr fahren. Wir sind um 13 Uhr los, dann mußten wir uns durch die lange Schlange bei der Sicherheitskontrolle quälen und waren natürlich trotzdem viel zu früh da.

Die Eröffnungsfeier fand im Maracana Stadion statt, die meisten Teams versammelten sich in der kleineren Halle daneben (hier finden sonst die Volleyballspiele statt). Zuerst hieß es, wir dürften im Pressezentrum dort auf unseren Einsatz warten, aber dann wollten sie schließen und warfen uns raus. Wir hingen im Pressezentrum des großen Stadions rum und setzten uns später auf die Pressetribüne der Volleyballhalle. Ich sollte die Fahnenträger von China, Rußland und Frankreich interviewen, dazu habe ich selbst noch die Deutschen und die Fahnenträgerin des Kosovo hinzugefügt. Also waren fünf Flashquote geplant, und dafür ging mehr als der halbe Tag drauf!
Den Chinesen habe ich allerdings nicht gefunden. Keiner im Team wußte, wo er war. Der Russe, ein Volleyballspieler, gab ein paar vernünftige Kommentare ab. Natürlich habe ich ihn nach der Doping-Affäre und dem Ausschluß einiger Sportler gefragt und er sagte, daß die Situation für die russischen Athleten schwierig sei, und dass es zwar ein Dopingproblem gebe, die sauberen russischen Sportler darunter aber nicht leiden sollten. Auch Majlinda Kelmendi aus dem Kosovo war interessant, denn Kosovo war das erste Mal bei Olympischen Spielen vertreten. Sie sprach darüber, was es für sie und Kosovo bedeute, gerade weil das Land arm und noch vom Krieg gezeichnet sei. Vor vier Jahren in London habe ich Majlinda, eine erfolgreiche Judoka, bei den Olympischen Spielen in London interviewt. Damals mußte sie unter der Flagge Albaniens antreten, weil das IOC Kosovo noch nicht anerkannt hatte. Ein paar Tage später gewann Majlinda tatsächlich Gold und ich konnte sie wieder interviewen. 🙂
Wenigstens kamen wir nach unseren Interviews schnell weg aus der Halle und konnten bis zu einer nicht gesperrten Straße laufen, um ein Taxi zurück in unser Mediendorf zu nehmen. Muß ich noch erwähnen, daß wir natürlich nichts von der Eröffnungsfeier gesehen haben? Aber das war nicht so schlimm, meistens ist es doch immer dasselbe. Die Sportler sehen auch nicht viel, übrigens. Dabei sollten sie die Hauptpersonen sein.
Dann begannen sieben Tage des Judo-Wettbewerbs. Sie waren spannend und es gab viele schöne und traurige Geschichten. Die meiner Meinung nach schönste und gleichzeitig sehr traurige ist die von Rafaela Silva, die in der Kategorie bis 52 Kilo die erste Goldmedaille für die Gastgeber holte. Rafaela kommt aus einer Favela, als einer Art Slum, in Rio. In London schied sie frühzeitig aus und wurde daraufhin von Rassisten und „Hatern“ im Internet auf das Übelste beschimpft. Diese Leute (als Fans möchte ich sie nun wirklich nicht bezeichnen) schrieben zum Beispiel, daß Affen in den Käfig gehörten und daß sie Schande über ihre Familie gebracht habe. Was denn nun ihre Antwort sei, wurde Rafaela in der Mixed Zone gefragt. „Nichts weiter als diese Medaille um meinen Hals“, sagte sie. Dann hatten wir noch den Tschechen Lukas Krpalek, der die -100kg gewann, Tschechiens erste olympische Judomedaille. Er hatte bei der Siegerehrung (und den ganzen Tag) ein Photo bei sich, das seinen Teamkameraden und einen seiner besten Freunde, Alexander Juracek, zeigt, der tragischerweise im Alter von 24 Jahren im vergangenen September bei einem Tauchunfall ums Leben gekommen war. In der Mixed Zone erzählte er mir, wie er den ganzen Tag an seinen Freund gedacht habe und das Photo immer bei sich getragen habe und er zeigte mir das Bild. Da hatte ich auch schon fast Tränen in den Augen. Natürlich möchte ich auch Szandra Szögedi erwähnen, eine gebürtige Ungarin, die für Ghana startet und die ich kennengelernt habe, als ich für die Europäische Judo Union gearbeitet habe. Szandra ist Kommentatorin für Judoübertragungen, aktive Sportlerin und startet für Ghana (ihr Ehemann kommt aus Ghana). Sie qualifizierte sich für Rio, aber sie hatte keinen einfachen Weg und dann hatte sie ausgerechnet eine starke Brasilianerin als Gegnerin (und verlor). Aber sie gab mir ein tolles Interview, die Zitate wurden von unserem Newseditor gelobt.

In der Mixed Zone sind die Emotionen oft sehr unmittelbar und echt. Ich sah Sportler, die als Favoriten in den Wettkampf gegangen waren und gerade in der Vorrunde verloren hatten, die mit hängenden Kopf oder weinend an den Journalisten vorbeigehen. Ein supernetter Ukrainer, Georgi Zantaraia, den ich im Vorfeld beim Training interviewt hatte, verlor seinen ersten Kampf. Er ließ sich in einer Ecke in der Mixed Zone auf den Boden sinken und weinte, aber er sah auf, erkannte mich und begrüßte mich. Als ich und eine ukrainische Journalistin zu ihm sagten, wir könnten auch warten, bis er sich beruhigt habe, sagte er nein, er sei gleich so weit, dann riß er sich zusammen und sprach über seinen geplatzten olympischen Traum.
Mir fällt es schwer, die Sportler in so einem bitteren Moment mit Fragen zu quälen oder einen Kommentar aus ihnen herauszuholen. Aber wer nicht sprechen will, der muß es nicht. Manchmal habe ich auch das Gefühl, daß es ihnen gut tut, wenn sie darüber sprechen können, was ihnen gerade passiert ist oder daß sich überhaupt noch jemand für sie interessiert.
Freude und Leid, Tränen und Lachen sind immer nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt, wenn die Sportler in der Mixed Zone stehen, genau wie im Wettkampf ein Millimeter, ein Sekundenbruchteil den Unterschied machen kann.

Mein Team beim Judo (und Ringen) besteht aus mir und zwei Flash Quote Reportern. Diese zwei gehören zu einer Gruppe US-amerikanischer Journalistik-Studenten, die als Freiwillige von ihren Universitäten zu uns geschickt wurden. An zwei Tagen half auch noch einer unserer Stamm-Reporter, Fernando (aus Argentinien, aber er lebt in Rio) aus. Das war gut, denn wir hatten jeden Tag acht Medaillengewinner und wollten von jedem ein Zitat haben. Die Pressekonferenzen fanden mal statt, mal nicht, und waren chaotisch. Meistens gab es nur eine, wenn ein Medaillengewinner aus Brasilien dabei war und es kamen auch nicht alle Medaillengewinner. Ein Usbeke (Bronzemedaille) ist uns so ganz durchgegangen. Aber das ist eben Pech und ich glaube, keiner hat es groß gemerkt.
Meine Flash Quote Reporter Cory und Cody haben schnell begriffen, worauf es ankommt und stellen sich gut an, sind natürlich nicht so schnell, aber das kann ich nicht erwarten. Sie murren auch nicht, wenn viel zu tun ist und ich denke, es macht ihnen Spaß.
Am letzten Tag des Judo-Wettbewerbs traf ich dann noch einen ehemaligen Eiskunstläufer, Nobunari Oda, aus Japan, der für das Fernsehen verschiedene Sportarten kommentiert. Auf einmal sah ich Nobu auf dem Bildschirm und habe ihn auf der TV-Plattform seines Senders gefunden.
Eigentlich hatte ich mich auf einen mehr oder weniger freien, jedenfalls ruhigen, Tag nach der Judo-Woche gefreut, aber Pustekuchen. Ich durfte am Samstag direkt bei der Leichtathletik aushelfen. Dazu mehr beim nächsten Mal!
